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Residenz Flausen Künstlerische Forschung Theater im Ballsaal Bonn

Flausen – Logbuch 4

Vorrede

Die Geheime Dramaturgische Gesellschaft (GDG) ist eine 13-köpfige Gruppe von professionellen Gesprächsanstifter:innen, die Dialog, Austausch und die Inszenierung von “Gesprächsarchitekturen” als künstlerische Praxis begreift. Wir leben in ganz Deutschland, arbeiten verstreut, oft mit digitalen Tools. Gemeinsame Präsenzzeit haben wir in unterschiedlich großen Besetzungen auf Festivals und Konferenzen. In den letzten Jahren haben wir so eine wiedererkennbare eigene Ästhetik entwickelt.

Die Flausen Forschungsresidenz am Theater im Ballsaal Bonn gibt drei von uns (Merle Mühlhausen, Willi Wittig und Stephan Mahn) den Freiraum, stellvertretend für die GDG, fokussiert am Kernthema unserer Arbeit zu forschen und dieses künstlerisch weiterzuentwickeln. Da wir nur zu dritt sind, teilen wir im wöchentlichen Logbuch unsere Erfahrungen mit den Kolleg:innen der GDG. Außenstehende laden wir ein, durchs Schlüsselloch zu schauen und unsere Briefe zu lesen, um so einen Einblick in unsere Arbeit zu bekommen.

Tagebucheintrag 15. Juli 2022

Liebe Geheimdramaturg:innen,

liebe Anna, liebe Phine, liebe Luise, liebe Saskia, liebe Petra, lieber Conni, lieber Vincent, lieber Jonas, lieber Tobi, lieber Robert,

wir schicken euch diese Woche individuelle Tagebucheinträge damit wir am Ende nicht einen ganzen Tag nur Logbuch schreiben, sondern jeden Tag, der uns noch bleibt, ausgiebig nutzen können.

Heute Vormittag haben wir unsere Idee des Arbeitsplatzes, die Diskurs- und Gesprächswerkstatt, im Basislager weiter gedacht und gestaltet. Es gab einen neuen Flaggenaufbau und die fixe Idee, nächste Woche noch eine eigene Flagge zu erfinden und zu nähen. Aus dem Live-Kamera-Aufbau, den Merle begonnen hatte, wurde der Schauplatz. (Schauplatz, der: Bisher noch ein Arbeitstitel (AT) für einen medialen Kommunikationskanal, der unter anderem die Agenda, den Zeitplan für die Besucher:innen eines Festivals sichtbar macht.) Dieser Medien- und Materialtisch begann auch beim heutigen Testlauf in einer „Knolling“ Ordnung, aber im Arbeiten bekommt er dann doch schnell das Aussehen eines unaufgeräumten, kreativen Schreibtischs, welcher aber damit total an die Papp-Edding-Schnur-Klammer-Klebepunktästhetik der bisherigen GDG Arbeit erinnert. Dinge, die der Schauplatz (AT) kann:

– Veröffentlichung der GDG Agenda (Was stellen die Gesprächsanstifter:innen heute auf dem Festival an?)

– Kennzeichnen, ob der Arbeitsplatz der GDG gerade besetzt ist (aka Abwesenheitsnotiz)

– Tagesaktuelle Bilder vom Festival mit dem GDG Minidrucker sichtbar machen

– Shout-Outs von Besucher:innen in die Festivalgemeinschaft tragen

– Vorgänge wie das Beschriften der Standardbox für Interessierte vergrößern

Für das Verdichten der Materialien des Basislagers am Ende eines Festivaleinsatzes bietet sich der Schauplatz (AT) an, um mit der dort installierten Kamera einen max. 5-minütigen Festivalrückblicksfilm zu gestalten. Während des Abbaus werden folgende Infos auf übrig gebliebenen Papier oder anderen Material notiert, gesammelt und danach ähnlich einem Live-Animationsfilm vor der Kamera angeordnet.

– Titel des Festivals

– Thesen zur Ästhetik der dort präsentierten Produktionen

– Thesen zur Struktur (Das kann die Arbeitsfelder der Fachbesucher:innen und Künstler:innen betreffen, genauso wie kulturpolitische Fragen oder Dinge, die auf dem spezifischen Festival besonders gut oder schlecht funktioniert haben)

– Magic Moments des Festivals (Fotos, Zitate etc.)

– Abspann (inkl. Beschriften der Standardbox mit Teamnamen)

Das heißt, das Basislager endet in einem spontanen, live produzierten Kurzfilm. Gerade überlegen wir, ob wir diese Formatidee des Abschlussfilmes beim makingOf mit den Inhalten der Residenz zu testen. Merle hat dafür eine Sammlungspappe angelegt, auf der wir konkrete Inhalte für die dramaturgischen Wendepunkte/Überschriften sammeln können.

Außerdem haben wir ausgehend von unserer performativen Öffnung der Standardbox darüber nachgedacht, ob diese danach wieder nur ein funktionales Aufbewahrungsobjekt sein oder ob sie eher einem Ausstellungsstück gleich präsentiert werden sollte.

Willi hat den Impuls aus dem Workshopwochenende heraus, das sich auch aus einfachen Materialien Rückzugsorte herstellen lassen, begonnen aus Podesten großräumige Sitzmöbel zu bauen. Die ersten Kissen sind darauf verteilt, es lässt sich gut darauf lungern und denken. Das alte Schild der „Diskursinsel“ wurde wiederverwendet und nun bleibt nur noch die Frage, wie weit die Insel innerhalb der nächsten Woche noch in den Raum wachsen wird.

Wir haben einen kleinen Reminder für unser makingOf per Mail an interessierte Kolleg:innen und Bekannte geschickt. Willi war im Baumarkt und hat Kabelbinder, Kreppband und Spanngurte gekauft. Damit wollen wir unsere temporären Eingriffe in den Raum, die immer weiter in die Höhe ragen, sichern. Das Material haben wir danach gleich erst mal einem Stresstest unterzogen, in dem wir auf die Idee kamen vom Boden aus einen Bogen aus Stühlen auf den Balkon, der sich auf der Szenenfläche des Theaters im Ballsaal befindet, zu bauen. Vor allem Willi hat bewiesen, dass er als einziger von uns ein dreidimensionales Vorstellungsvermögen und physikalisches Verständnis besitzt.

Nach Willis Versuchen, gemütliche und einladende Rückzugsorte aus Podesten herzustellen, begann Stephan am Regler des Parameters der Atmosphäre zu drehen und die technischen Gegebenheiten eines gut ausgestatteten Theaters zu nutzen, um einen stimmungsvollen Abschlussraum für diese Woche herzustellen. Wenn ihr diesen Raum nachbauen wollt, benötigt ihr:

4 Europaletten

4 Stative

3 Leere Bierkisten

2 Halbschellen

1 Lichtfolie eurer Wahl (min 2x1m)

1 Par

1 Profiler

1 Discokugel

1 Lautsprecher/Bluetooth Box

1 Wochenabschlussong

Danach ging es daran, Sicherheitsschilder für den Stuhlbogen zu gestalten und einen ersten Blick auf den Wochenplan der letzten Woche zu werfen. Wir wissen nun, wann wir David in Köln auf ein Bier treffen, wir mit Felix vom flausen+ zur makingOf Besprechung im Zoom treffen und die voraussichtliche letzte Waschmaschine angeworfen wird.

Morgen ist erst mal Wochenende. Wir schauen uns gemeinsam den alten Plenarsaal des Bundestags an. Ansonsten wollen wir Bonn einmal ohne Arbeit genießen und erkunden. Wir melden uns dann am Montag wieder bei euch.

Herzlichst

MM WWW SM

Tagebucheintrag 18. Juli 2022

Liebe Geheimdramaturg:innen,

es berichtet aus dem laufenden Geschehen: Meta-Merle!

Langsam wird es ernst. Noch drei Tage bis zum makingOf. Wir starten mit einem neuen Versuch des Racoonings und Fast-and-Furious in den Tag. Ziel ist, herauszufinden, ob die Modi des Materialsammelns und Bauens spannend genug für die Präsentation sind. Im Unterschied zum letzten Anlauf haben wir uns dieses Mal selbst strengere Regeln gesetzt: Die Zeiten für das Sammeln und das Bauen sind auf jeweils 15 Minuten verkürzt und jede:r von uns zieht zwei Lose mit den Raum-Parametern, die wir in den letzten Wochen gefunden haben und die in den Aufbau mit einfließen sollen: In meinem Fall heißt dass, dass mein Aufbau für eine kleine Gruppe geeignet sein soll, die moderiert (statt unmoderiert) miteinander spricht. Die verschärften Regeln äußern sich in Konkurrenzverhältnissen. Willi klaut mit dreist ein gehamstertes Plastikrohr, bemerkt aber nicht, dass ich es Zurückklaue. Es entstehen drei Gesprächsaufbauten: Eine Séance mit dem:der Große:n Moderator:in (vielleicht inspiriert von Phine und Connis letztem Einsatz…?), eine lange Bank und eine Liegestation für Blicke in die Weite. Wir testen sie und stellen fest, dass sie zu viel Zeit kosten, um sie am Donnerstag im makingOf durchzuführen. Außerdem ist noch zu unklar, inwiefern Besucher:innen ihre Erfahrungen in dort neu entstandenen Aufbauten einbringen können.

Die zweite Hälfte des Tages verbringen wir mit der inhaltlichen und gestalterischen Arbeit am Schauplatz (AT). Weil wir natürlich nicht auf die gesammelten Ergebnisse eines ganzen Festivals zurückgreifen können, nutzen wir für dieses Mal sehr selbstreferenziell die Ergebnisse unserer Residenzzeit. Als Erstes versuchen wir, fünf zentrale Thesen über die bisherige und womöglich zukünftige Ästhetik der GDG festzulegen. Was dabei herauskam, seht ihr hier:

Anschließend folgt eine ausführliche Bastelsession mit den Papier- und Papp-Elementen für den Film, in der mich Willi und Stephan mit ihren elaborierten Projekten vom Hocker hauen. Stephan baut einen abrollbaren Abspann und Willi eine Handyhalterung, mit der unsere Magic Moments der Residenz der Kamera präsentiert werden können. Ganz fertig werden wir allerdings nicht. Morgen steht an, zentrale Strukturthesen herauszuarbeiten und weiter zu basteln (und ja, ich nenne es absichtlich Basteln!). Das Abschluss-Filmchen ist etwas aufwendiger als wir erwartet haben, aber wir haben immer noch Spaß daran. Wir fragen uns, ob das Format bei GDG-Einsätzen realistisch umzusetzen ist und kommen zu dem Schluss, dass es zwar mehr konzentriertes Arbeiten und Gestalten an einem Element erfordert, als wir es bisher vielleicht gewohnt sind, aber dass uns diese Auseinandersetzung mit den Materialien beziehungsweise die bewusste Verbindung von Material und Inhalt vielleicht ganz guttut. Bei einem GDG-Einsatz wäre natürlich auch die Zeitlichkeit eine andere: Wir versuchen hier gerade, Gedanken aus vier Wochen innerhalb der drei letzten Tage in Papier zu bannen, während es bei einem Festival um mehrere Tage geht, an denen das Format immer schon parallel zu anderen Programmpunkten mitgedacht werden könnte. Voraussetzung ist natürlich, dass unser erster öffentlicher Versuch am Donnerstag keine totale Katastrophe ist …

Abends treffen wir dann (endlich) David auf ein grandioses Abendessen im Zarathustra in Köln Süd und die anschließende Kölsch-Experience. Es ist schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen und sich über GDG-Fragen austauschen zu können. Wir schwitzen – wie ihr vermutlich auch gerade – im Biergarten vor uns hin und freuen uns, David schon Mittwoch wiederzutreffen, wenn er uns als Outside-Eye besuchen kommt.

Herzlichst

MM WWW SM

Tagebucheintrag 19. Juli 2022

Durch Hitze und daraus resultierenden Schlafmangel erreichen wir neue Zustände. Heute berichtet euch Willi.

Wir beginnen das, was wir laut Merle gestern „gebastelt“ haben, heute weiter zu gestalten. Vieles für den Schaukasten (AT) sieht schon gut aus. Den anschließenden ersten Durchlauf des Abschlussfilms machen wir allerdings noch ohne Strukturthesen und entsprechend „rough“ (ein sehr nützliches Wort, das Stephan etabliert hat, um unsere Versuche und aufbauten zu beschreiben). Das Ergebnis sieht schon ganz okay aus, aber es braucht klarere Absprachen und Setzungen. Für die Tonebene des Films würden wir gerne eine zeitlich genau gesetzte Audiospur aufnehmen. Aber das ist nicht mehr stemmbar und vermutlich auch zu perfektionistisch. Wir entscheiden uns, diesen Teil also „rough“ zu lassen und erst mal unserer Strukturthesen zu finden.

Wir sind uns relativ schnell einig, dass Thesen zu den Flausenstrukturen für unser imaginiertes Publikum uninteressant sind. (Keine Sorge, wir bleiben kritisch und schreiben einen Feedbackbrief an Flausen+). Stattdessen konzentrieren wir uns auf unsere eigene Arbeit.

Viel Denken wir über unser Verhältnis von unserer Kleingruppe zur Gesamt-GDG nach und wie wir unser explizites Wissen und unser expliziten Vorschläge mit der Gruppe teilen und weiterentwickeln können. Das implizite Wissen aus den Erfahrungen hier können wir nicht schriftlich weitergeben. Zur gemeinsamen Arbeit treffen wir uns aber meist nur in Einzelgruppen. Darin liegt aber auch eine Stärke, weil wir unser Wissen in der 13 Gruppe mit jeder neuen Konstellation hinterfragen und in neue Perspektiven setzen. Um diese Treffen und unsere Kommunikationsstruktur zu beschreiben, klauen wir den Begriff des Rhizoms aus der Biologie.

Stephan hat sich Wortwitzwilliswitzstruktur angeeignet und meint: „Alleine ist man weniger Rhizom. Zusammen sind wir Ingwi(e)r“

Später finden wir raus, das wir wenn wir von Pilzwurzelsystemen sprachen, eigentlich Myzelien meinten. Die Residenz ist einfach sehr lehrreich.

Anmerkung von Meta-Merle zum 19.07.

Heute haben wir darüber nachgedacht, wie schade es ist, dass ihr alle nicht dabei sein könnt (und wir anstrengend es gewesen wäre, uns zu 13. über das Frühstück zu einigen). Und wir haben uns gefragt: Wie krass wäre es, wenn es jedes Jahr eine einmonatige Residenz (innerhalb oder außerhalb von Flausen) mit +- 4 GDG-Mitgliedern geben würde, nur um an unserer Ästhetik weiterzuarbeiten. Was bräuchte es, um das möglich zu machen?

Auch beschreiben wir unser Verhältnis zur Großgruppe und stellen fest: Gut, dass ihr nicht alle da wart. Schade, dass jede:r Einzelne von euch nicht da war.

Wenn unsere gesamte 13-köpfige Gruppe hier gewesen wäre, wäre es der Horror gewesen, sich über irgendetwas zu einigen oder auch nur genug Ecken für alle zu finden.

Die Thesenarbeit ist sehr anstrengend und zwischendurch werden wir sehr erschöpft und etwas albern. Wir reißen uns allerdings zusammen, um sie unter Überschriften zu ordnen. Da die Bühne mittlerweile sehr heiß ist, machen wir eine Mittagspause.

Wir lesen uns noch mal die Handreichung zum makingOf durch, um auf unseren abendlichen Zoom mit Flausen+ Felix vorbereitet zu sein. Und werfen unseren bisherigen Plan um, weil wir unsere Fragen ans Testpublikums schärfen und unsere unterschiedlichen Interessen zusammen sortieren. Wollen herausfinden, wie interessant es ist, uns beim Aufbauen der Gesprächsräume zuzusehen und nehmen diesen Part mit ins makingOf. Es ist sehr heiß. Wir brauchen ein Eis. Wir essen ein Eis. Wir räumen die Bühne frei, um unseren Aufbau zu planen und zu entscheiden, welche Aufbauten probiert werden. Der Obsthändler macht bald Urlaub und wir bekommen günstig Obst.

Wir nehmen die Zuschauer:innentribühne auseinander und erweitern die „Stuhltur“ (Stuhltur, die: Skulptur einfach etwas thüringisch genuschelt) um die restlichen Stühle im Raum. Wir sind ein paar Mal blöde. Willi muss sich wegen der Hitze mal hinlegen.

In der Unterkunft fängt Stephan schon mal an, die Essensreste zusammen zu werfen. Aus dem Linsenchilli, dem restlichen Pesto, Nudel, Röstzwiebel, Preiselbeersauce schafft er es, ein sehr leckeres Abendessen zu zaubern.

Dann nur noch der Zoom mit Felix von Flausen bis 21:30 und schon können wir uns ans Logbuch und den Reflexionsbrief setzen. Heute wird es spät, aber beim Feierabendgetränk auf dem Balkon freuen wir uns über das Erreichte.

Herzlichst

MM WWW SM

Tagebucheintrag 20. Juli 2022

Liebe Geheimdramaturg:innen,

der Tag begann mit Diskussionen um die tatsächliche Raumnutzung während unseres makingOfs. Wo soll die „Diskursinsel“ entstehen? Gibt es nur eine Insel oder mehrere? Welche unserer Aufbauten aus den letzten vier Wochen soll morgen mit den Besucher:innen getestet werden? Welche Fragen haben wir an die Zuschauenden, die unser Try Out besuchen? Was wiegt uns nicht in Sicherheit, sondern lässt uns mit Fragezeichen zurück? Wo brauchen wir verschiedene Wahrnehmungsbeschreibungen von außen?

Bis zum Nachmittag wurden in Vorbereitung eines ersten „Probeaufbaus“ auf Zeit bisher noch nie umgesetzte Raumelemente erdacht und gebaut. Und dann bekamen wir nach 1 ½ wieder Besuch. David, der mit Tobi und uns das Konzept für diese Residenz geschrieben hat, kam als Outside-Eye und tatkräftiger Unterstützer für einen Tag vorbei.

Wir konnten ihm die erste Sequenz, mit der wir das morgige makingOf eröffnen wollen, in einem ersten Probedurchlauf zeigen. Es war erste Versuch, unsere Auswahl an Aufbauten ausgehend von einer kleinen „Schlachtplatte“ vor Publikum aufzubauen. Wir hatten keine Ahnung, wie lange wir brauchen würden. Dann haben wir uns außerdem dafür entschieden, das öffnen der Standardbox auch gleich noch davor zu setzen und dieses nicht zu überspringen. Wie würde David als jemand der vor über einem Jahr die Residenz mit konzipiert hatte und seit 3 Wochen unsere Logbücher per Mail bekommt auf unsere szenische Anordnung, in der wir als Performer:innen auftreten, reagieren? Würde der Fokus seiner Wahrnehmung auf den Objekten, unseren Handgriffen,/Vorgängen oder dem Raum liegen? Wird es überhaupt klar, dass wir versucht haben, eine Performer:innenhaltung zu entwickeln? Wie ist es uns als am Anfang nicht live sprechenden Akteur:innen gegenüberzustehen? Lädt die räumliche Ausgangssituation, die wir uns überlegt haben, dazu ein, sich im Raum zu bewegen oder wird doch durch Besuchende die frontale Perspektive gesucht? Wird unsere gestalterischen Eingriffe in den Raum als markant oder eher nebensächlich wahrgenommen? Was erzählen sie den Menschen, die ihre Entstehung miterleben, uns sie dann begehen und als Gesprächsräume nutzen? Was macht die sichtbar unserer Arbeitsvorgänge mit unserer Arbeit? Welches Potential liegt darin, unsere anstiftende und in diesem konkreten Falle Gesprächsarchitekturen schaffende Praxis explizit als künstlerische Arbeit auszustellen?

Nach überraschend kurzen 35 Minuten war der erste Probedurchlauf vorbei und David begann seine Wahrnehmungen, Fragen und Impulse zu schildern. Wir haben ihn, wie auch schon unseren letzten Besuch Tobi gebeten, seine Erfahrungen kurz für das Logbuch festzuhalten:

Outside-Eye Impressionen von David Vogel

Einen Tag vor Abschlusspräsentation in die Forschungsresidenz einzutauchen, ist ein besonderer Einblick. Wohin ist die Gruppe gelaufen, welche ursprünglichen Gedanken und Thesen wurden verfolgt, worauf liegt der Fokus, wie sichtbar ist der Prozess, in welcher Stimmung befinden sich die Künstler:innen, welche Entscheidungen stehen an? Wie kann ein Außenblick auf den letzten Metern unterstützen?

Dass sich ein so kommunikationsorientierter Themenkomplex derart stark in Materialität übersetzen lässt, ist beeindruckend. Zwischen Installation, immersivem Theaterraum, Versuchsanordnungen und Bauarbeiten ist das Publikum eingeladen, eine performative Raumtransformation zu erleben und sich selbst darin zu verorten. Dabei ist vor allem das Verhältnis von Innen- und Außenblick interessanter Impuls für die letzten Reflektionsgespräche: Wie gehe ich mit einem Raum um, dessen Physis mehr Fokus gewinnt als die Performenden, so dass jedes Objekt, jede Oberfläche, jede Anordnung an Bedeutung gewinnt? Wie lenke ich Blicke und Publikumsbewegungen so, dass keine Irrwege entstehen?

Von Gerret, dem Techniker vom Theater, haben wir unsere Aufbauten abnehmen lassen und letzte sicherheitstechnische Hinweise bekommen. Denn das, was wir da morgen innerhalb von einer halben Stunde aufbauen wollen, soll ja nicht nur schön anzusehen sein, sondern insbesondere von den Besucher:innen genutzt werden. Einen Plan für die Lichteinrichtung und ganz wichtig, eine Deadline für den Abbau nach dem makingOf haben wir nun auch.

David hat uns mit seinem popkulturellen Wissen unterstützt und zwei Spotify Playlisten für das makingOf erstellt. Es gibt nun eine wilde und trashige Sammlung von Songs, die vor allem eines verbindet, das anscheinend irgendjemand in dem Lied ein Haus o. Ä. baut und eine atmosphärische Playlist mit Moody Soundflächen. Über diese neuen Impulse haben wir begonnen, über das gesamte musikalische Konzept des makingOfs zu sprechen. Die Diskussionen hier sind aber noch nicht abgeschlossen. Fragen, die wir für den heutigen Tag auf die lange Bank geschoben haben: Welche Musik braucht die zeremonielle Öffnung der Standardbox? Welche Musik kommentiert diesen performativ nicht zu stark? Mit welchem Song distanzieren wir uns nicht ironisch davon oder laden das Ganze zu bedeutungsschwer auf? Außerdem kam die Frage danach auf, ob ein Basislager so etwas wie einen Soundtrack baut und wie sich dieser auf die Gesprächsatmosphäre dort auswirken könnte. Geht es bei diesem Gedankenspiel um eine „Beschallung“ des gesamten Basislagers? Müssen wir eventuell mehrere Bluetooth Boxen kaufen und einzelnen Gesprächsarchitekturen spezifische Soundtracks bauen? Das könnte die Fragestellung für eine ganz eigene Forschungsresidenz sein. Vom Raum zum Klang. Wie beeinflusst der Klang von Räumen, die Akustik, die technischen Hilfsmittel (Mikros, Schnurtelefone etc.) oder auch die Verwendung von Musik die Gespräche?

Am Nachmittag fand, um der Hitze etwas entgegenzusetzen, eine wilde Wasserpistolenjagd über den Hof statt. Es gab eisgekühlten Kaffee, die ein oder andere Dusche zwischendurch und die Hoffnung, den Tag mit einem Feierabendgetränk im Pub vor dem Theater im Ballsaal zu beschließen.

Die To-do-Liste schrumpfte dank der Unterstützung von David innerhalb von 1 ½ Stunden dramatisch. Es entstanden Namensschilder für die Gesprächsarchitekturen im Bühnenraum, kontextualisierende Hinweise für unsere Zettelwände im Foyer, ein aktualisierter Text für die Öffnung der Standardbox und die letzten Materialien für den verdichtenden Abschlussfilm der Residenz, den wir morgen live mit unserem Prototypen vom Schauplatz (AT) innerhalb des makingOf hervorbringen wollen.

Zu guter Letzt haben wir damit begonnen, Foyer, Teeküche und Garderobe aufzuräumen, unsere Privatsachen, die wir seit gut 3 Wochen hier einfach immer und überall haben rumliegen lassen können, einzusammeln und die Materialien, die nach dem heutigen Probentag aussortiert wurden, zu entsorgen.

Zum Tagesabschluss haben wir noch gemeinsam mit David ein kühles Bier getrunken, auch wenn das Kölsch hier in Bonn ganz unüblich in 0,3 – 0,4 serviert wird. Danach hatte David noch eine Überraschung parat und hat uns ein neues Kartenspiel „Monopoly Deal“ beigebracht. Nach drei aufregenden Kennenlernrunden war es aber an der Zeit, ein letztes Mal den Tagesplan des letzten vollständigen Residenztages zu besprechen, die Fenster in der Wohnung aufgrund eines sich ankündigenden Gewitters aufzureißen und ordentlich Durchzug herzustellen. Das alles in der Hoffnung, diese Nacht doch etwas mehr Schlaf zu bekommen, um morgen genügend Kraft für den Endspurt zu haben. Nun ist es schon 00:08. Der letzte Arbeitstag hat begonnen.

Gute Nacht.

MM WWW SM

Tagebucheintrag 20. Juli 2022

Liebe Geheimdramaturg:innen,

Meta-Merle ist zurück und berichtet: Dies ist der letzte Eintrag. Heute hat unser makingOf stattgefunden und wir hatten nicht so viel Zeit, Tagebuch zu schreiben. Anstatt vieler Worte wollen wir euch den Film vom Schauplatz (AT) präsentieren, mit dem wir im makingOf live versucht haben, die inhaltlichen und emotionalen Momente der Residenz zusammenzufassen und ein paar Bilder vom Ballsaal, vom Abend des Showings. Wir haben uns sehr über die lieben Nachrichten gefreut, mit denen ihr uns bedacht habt und sind schon gespannt darauf, auf der Klausurtagung im Herbst mit euch zusammen die Erkenntnisse und Gedanken der Residenz zu teilen und auszuprobieren.

Gute Nacht.

MM WWW SM