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Forschung und Austausch Fünf Dinge - Der Theaterpodcast der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft Gesprächsanstiftung Preisverleihung Woche für nicht-infektiöse Begegnungsformate

Die Woche für nicht-infektiöse Begegnungsformate

Ein Erfahrungsbericht von Laura Kallenbach

Ich vermisse Theater. Ich vermisse die gemeinsame Raumerfahrung, die unruhige, erwartungsvolle Spannung bevor es los geht, bekannte Gesichter zu treffen und alleine in der Zuschauer*innengruppe unterzugehen, wenn das Licht schummriger wird. Ich vermisse Staubpartikel im Scheinwerferlicht, Sätze, die auf der Bühne und in meinem Kopf nachhallen, Körper, die vor mir, neben mir, hinter mir aktiv sind, atmen, reagieren, zuhören, arbeiten. Ich vermisse schöne Menschen, die an der Bar im Foyer stehen und im Nachgespräch schlaue Sachen sagen und wichtige Fragen stellen. Ich vermisse Auseinandersetzung, mit mir, mit anderen.

Ich habe trotzdem oder gerade deshalb in den letzten Monaten wenige Online-Theater- Ersatzformate wahrgenommen. Kaum Inszenierungen über Plattformen gestreamt oder mich von Schauspieler*innen oder Performer*innen in ihr Wohnzimmer zu einer Lesung oder ähnlichem einladen lassen. Meine eingeübte Aufmerksamkeit vor dem Bildschirm funktioniert für Videomitschnitte von Inszenierungen nicht auf die selbe Art und Weise wie für Netflix-Serien. Prozentual vielleicht ungefähr in dem Verhältnis in dem Theatern finanziell und technisch Mittel für eine solche Videoproduktion gegenüber einer Filmproduktion zur Verfügung stehen, abzüglich der Ablenkung, darüber nachzudenken, wie die Raumerfahrung, für die diese Inszenierung eigentlich erarbeitet wurde, jetzt wohl eventuell wäre, ob Streamingangebote gerade Rettung oder Tod des Theaters bedeuten, ob, wie, und … Ich mach mir kurz ne Stulle.

Vor ein paar Wochen allerdings hatte ich durch die „Woche der nicht-infektiösen Begegnungsformate“ der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft plötzlich einen Terminkalender voller Theater-Dates, die ich allesamt wahrgenommen habe. Zu wissen, dass zu den einzelnen Terminen des Wochen-Spielplans mehrere Menschen zusammen kommen werden und die Aufführungen (unterschiedlicher Art) gemeinsam erleben werden, war auf jeden Fall schon mal ein erster Anreiz, dieses Format zu testen. Oder eigentlich die Formate. Die unterschiedlichen, offenen Versuchsanordnungen, Theater und vor allem Begegnung mit und über Theater in dieser Zeit stattfinden zu lassen, haben mich neugierig gemacht und mich als Mitforschende eingeladen.

Ich habe in einem Zoom-Meeting mit 30, 40 Menschen zusammen Theater geschaut, ein TIMEOUT eingefordert, um den Stream zu unterbrechen und eine Frage zur Inszenierung zu stellen – ans Team und an die anderen Zuschauenden. Ich habe den Zoom-Zuschauer*innen-Raum nicht zwischenzeitlich verlassen, um andere Dinge zu tun, sondern mich tatsächlich im kollektiven Schauen auf den Stream (und den kommentierenden Chat mit den anderen) konzentrieren können, mich vielleicht auch in dieser Konstellation stärker mit verantwortlich gefühlt. Und ich habe im Nachgespräch wichtige Frage zur Inszenierung weiterdenken und besprechen können. Ich hatte alleine
in meiner Wohnung sitzend das Gefühl, gemeinsam Theater zu erleben. Das Video hat die Live-Aufführung nicht ersetzen können, aber das Format eine Form des gemeinsamen Erlebens.

TIME-OUT! Ein unterbrochenes Public Viewing“ zur Online-Aufführung von „Scream“ am Jungen Ensemble Stuttgart

Ich war eine Stunde spazieren und habe mich am Telefon zufällig ausgelost zwar nicht mit einer mir fremden Person unterhalten, aber doch als schöne Überraschung mit einem Menschen, den ich sonst gerade nicht treffe. Ich bin durch die Straßen und den Park spaziert und wir haben darüber gesprochen, wie uns die Situation gerade betrifft, wie wir sie wahrnehmen und mit ihr umgehen, ob Theater dabei gerade eine Rolle spielt, wie und was geschaut wird, über die Zukunft des Theaters (oder eher der Theater
in ihren sehr unterschiedlichen institutionellen Bedingungen) spekuliert und Fragen an gesellschaftliche Auswirkungen dieser Krise gestellt. Das bei einem Spaziergang zu tun, an anderen Menschen vorbeigehend, Umgebungsgeräusche aushaltend, Außenwelt (den sehr begrenzten Ausschnitt des eigenen Kiezes) wahrnehmend, war für mich ein gutes
Setting, sich selbst und die Themen des Gesprächs, das Sprechen über Theater in unterschiedlichen Kontexten, unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten zu verorten und einzuordnen. Auch im Nachdenken über das Gespräch im Nachhinein. Worüber wird geredet und warum gerade jetzt?


Ich habe beim Fünf-Dinge Podcast ehrliche Einblicke in den aktuellen Alltag und das Ausprobieren von Formaten der Theater(pädagogischen) Arbeit erhalten, die Probleme, Chancen und Fragen gleichermaßen offenlegten. Welche Formate entsprechen meiner künstlerischen Arbeit tatsächlich, werfen neue interessante, formale Fragen auf und erscheinen unter den aktuellen Bedingungen nicht bloß als schneller digitalitäts-Aktionismus im Kampf um Sichtbarkeit? Auf welche gesellschaftlichen Bedingungen und
unterschiedlichen Bedürfnisse trifft theaterpädagogische Arbeit in dieser Situation auch in ihrer sozialen Verantwortung und wie kann sie auf diese reagieren, ihre Ressourcen zur Verfügung stellen und umdenken? Und in welcher existentiellen (Not-)Lage befinden sich Künstler*innen selbst, die nicht nur legitimiert, sondern auch verlangt, inne zu halten, für sich selbst zu sorgen und grundlegende Fragen an die Zukunft der eigenen Arbeit(-sstrukturen) zu stellen? Wesentliche Fragen, die Raum brauchen, verhandelt werden zu können, um in dieser Situation aus dem Reagieren in ein nachhaltiges Handeln zu kommen.

Für die Preisverleihung zur „Selbstinszenierung der Darstellenden Künste auf ihren Social-Media-Kanälen in Zeiten von Corona“ am nächsten Tag hatte der „digitalitäts-Aktionismus“ dann aber doch zumindest eine große Bandbreite an (teils ungewollter) Unterhaltung zu bieten. Und die Frage, was Sichtbarkeit von Theater in Zeiten von Corona bedeutet oder bedeuten kann, hat sich noch einmal deutlich gestellt.

Preisverleihung zur Selbstinszenierung der Darstellenden Künste auf ihren Social-Media-Kanälen in Zeiten von Corona

(Fast) zum Abschluss der Woche war ich dann noch einmal im Theater bei System Rhizomas Premiere [UN]LIMITED TRACES, eine Tanzproduktion im und für den digitalen Raum mit analogem Nachgespräch am Telefon mit einer mir bis dahin unbekannten Person. Der rote Vorhang hat sich für mich live gehoben und zwischen Show-Format, Prozess-Rückschau, Publikumsinteraktion und privat gefilmten Tanzeinlagen nach gezeichneter Anleitung habe ich versucht, mich auf eines neues, digital-analoges Inszenierungsformat einzulassen, mich gefreut, einen bewussten
Umgang mit den aktuellen Inszenierungsbedingungen innerhalb der künstlerischen Form zu beobachten und beim Nachgespräch doch auch wieder viel über das Für und Wider aktueller Ersatzversuche/Formate von Theater und die sehr anderen Publikumserfahrung geredet. Und wie schön, wieder die Möglichkeit eines solchen Telefon-Nachgesprächs beim Spaziergang gehabt zu haben.

Ganz zum Abschluss hat mich an einem Sonntag-Abend die eingerichtete Telegram-Gruppe als schöner, geselliger Ausklang der Woche zum Tatort-Schauen bewegt, vom vorzeitigen Abschalten abgehalten und im Anschluss zu einem gemeinsamen Spiel eingeladen.

Wenn ich auf die Zeit seit dem schaue, hat die „Woche für nicht-infektiöse
Begegnungsformate“ für mich definitiv Motivation geschaffen, zum einen online Angebote wenn, dann nicht alleine sondern mit anderen zusammen über Video-Konferenzen oder Gruppen-Chats wahrzunehmen und zu diskutieren und zum anderen weiter Fragen an Formate, Zugänge zu Kunst und nachhaltige Zukunftsperspektiven zu stellen und zu denken. Gerade in der Frage nach spezifisch gestalteten und moderierten Begegnungsformaten für den digitalen Raum aber auch darüber hinaus unter den Bedingungen von Kontaktbeschränkungen hat diese Woche wichtige Impulse gegeben und ich sehe unter den zahllosen Online-Veranstaltungen nach und nach mehr, die den Fokus genau auf die Bedingungen und Möglichkeiten solcher neuen Formate legen.
Dieser Schritt (zurück), der auch mitbedenkt, dass es für solche Formate Expert*innen benötigt, die nicht zwingend Theaterschaffende sind, scheint mir ein wichtiger.


Laura Kallenbach ist Gründungsmitglied von CHICKS* freies performancekollektiv und seitdem regelmäßig als Dramaturgin an Produktionen des Kollektivs beteiligt. Seit 2019 promoviert sie an der Universität Hildesheim zum Thema „Doing Gender als ästhetische Praxis in der Theaterpädagogik.